Orientierung an der Natur – ohne Kompass
Du bist „draußen“. Dein Atem keucht. Du bist durchnässt, und Dein Puls liegt jenseits der 180. Du setzest Dich auf den Boden, hebst Deine Arme, damit Du besser Luft bekommst. In Deinem Mund breitet sich ein metallischer Geschmack aus. Ausruhen! Das ist im Moment das einzige, woran Du denken kannst. Du schaust an Dir herunter, tastest Deine Glieder ab. Alles in Ordnung? Ja! Langsam gewinnst Du Deine Fassung zurück. Was ist passiert?
Eben noch warst Du mit Deinem Kanu auf dem Fluß unterwegs. Du bist von einem Unwetter überrascht worden. Der Fluß mündete in einen See. Du dachtest, Du schaffst es noch bis zum nächsten guten Platz fürs Camp. Der Wind war so stark, dass er Dir die Wellen ins Boot gedrückt hat. Du bist gesunken. Deine gesamte Ausrüstung ist auf dem Grund des Sees. Und Du bist drei Tage Fußmarsch von der nächsten Zivilisation entfernt.
Und jetzt?
Wenn Du eine Karte hast, schätze Dich glücklich. Dann kannst Du Deinen Standort früher oder später bestimmen. Wenn Du keine Karte hast, dann hast Du Dir Deine Strecke hoffentlich vorher eingeprägt. Das solltest Du immer machen. Egal ob Du z.B. als Beifahrer mit dem Auto, dem Schiffe, zu Fuß oder mit dem Flugzeug reist. Du solltest immer wissen, auf welcher Strecke Du Dich befindest.
Dann kannst Du Deinen Standort zumindest ungefähr abschätzen – auf Deiner imaginären Karte.
Du hast durch Deine Routenplanung noch eine Vorstellung von der Umgebung und der nächsten Hilfe. Du weißt in welche Richtung Du gehen musst, um die nächsten Menschen zu finden. Dem Fluß stromabwärts zu folgen, wäre eine Möglichkeit. Grundsätzlich münden alle Flüsse irgendwo in größere Flüsse oder ins Meer. Aber es gibt in bestimmten Regionen auch Ausnahmen. Im Verlauf von Flüssen haben sich oftmals Menschen niedergelassen. Aber wir gehen davon aus, dass Du Dich in nordöstliche Richtung orientieren musst. Dort liegen die nächsten Ortschaften……..dem Fluß stromabwärts zu folgen würde noch deutlich länger dauern….
Also musst Du die Himmelsrichtung ermitteln! Aber Dein Kompass liegt auf dem Grund des Sees.
Hier ein paar Beispiele, wie Ihr die Himmelsrichtung auch ohne Kompass ermitteln könnt:
Wir haben die Sonne. Wenn diese scheint, kannst Du die Himmelsrichtung ganz schnell bestimmen.
Die Sonne geht im Osten auf, mittags steht sie im Süden und abends geht sie im Westen unter. Je nach Jahreszeit steht die Sonne höher oder tiefer, d.h. sie ist länger oder kürzer zu sehen. Ganz grob kann man davon ausgehen, dass sie morgens um 06.00 Uhr im Osten, mittags um 12.00 Uhr im Süden und abends um 18.00 Uhr im Westen steht. Beachtet aber in Deutschland die Sommerzeit: Während der Sommerzeit eine Stunde abziehen.
So lässt sich die Himmelsrichtung anhand der Sonne für den Marsch grob bestimmen.
Habt Ihr eine Armbanduhr (analog), so richtet den Stundenzeiger auf die Sonne. Zwischen 12.00 Uhr und dem Stundenzeiger liegt Süden (nördliche Halbkugel der Erde). Wer eine digitale Uhr hat sollte nicht verzweifeln. Stellt Euch vor, es sei eine analoge Uhr. Wo würde der Stundenzeiger stehen. Richtet diese Stelle der Uhr auf die Sonne und zwischen „oben“ und der Stelle des imaginären Stundenzeigers liegt Süden. Auch hier gilt: Bei Sommerzeit eine Stunde abziehen.
Wenn die Sonne scheint, könnt Ihr auch die Schattenstock-Methode anwenden.
Morgens, etwa eine Stunde vor Mittagszeit, steckt Ihr einen möglichst geraden Stock in die Erde. Dann nehmt Ihr ein Seil (aus Eurem Überlebensgürtel, Schnürsenkel, Weidenzweig, festen Gras….). An das eine Ende bindet Ihr einen dünnen Ast, ca. 4 cm lang. Das andere Ende bindet Ihr an den Stock in der Erde. Dabei darf das Seil nur so lang sein, dass der kleine Ast am Ende gerade bis zum Ende des Schattens vom Stock in der Erde reicht. Nun zieht Ihr einen Halbkreis – wie mit einem Zirkel. Der Kreis wird folglich gerade von dem Ende des Schattens an einer Stelle geschnitten. Diese markiert Ihr mit einem kleinen Stein. Dann braucht Ihr etwas Geduld. Der Schatten wandert, wird kürzer und nach der Mittagszeit wieder länger. Irgendwann schneidet er wieder den Halbkreis. Diese stelle markiert Ihr wieder mit einem Stein. Dann zieht Ihr eine gerade Linie durch die beiden Markierungen -> das ist die Ost – West – Linie. Es ist logisch, dass die erste Markierung in westlicher Richtung und die zweite Markierung in östlicher Richtung liegt. Zieht Ihr zu dieser Linie eine zweite Linie im 90-Grad-Winkel (Kreuz), so erhaltet Ihr die Nord-Süd-Richtung.
In unseren Trainings werden wir immer wieder auf „die Sache mit dem Moos an den Bäumen“ angesprochen. Die Wetter – / bzw. Schlagseite soll in unseren Breiten im Nordwesten sein. Nunja, das mag sein. Aber daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass man durch den Moosbewuchs und die Neigung von Bäumen die Himmelsrichtung bestimmen kann, halte ich für übertrieben. Selbst bei freistehenden einzelnen Bäumen. Die Erfahrung und das Vergleichen hat immer wieder gezeigt: Die Fehlerquelle ist enorm hoch. Daher würde ich persönlich dieses – mögliche – Indiz für Nordwesten total ignorieren. Der Vollständigkeit halber sei es aber an dieser Stelle erwähnt.
Und wenn es Nacht wird, dann haben wir die Sterne. Vorausgesetzt, es ist nicht bewölkt.
Jedoch bedarf es einiger Übung, sich an den Sternen zu orientieren. Daher solltet Ihr bei jedem Training mit Übernachtung (aber auch wenn Ihr von Feiern nach Hause kommt o.ä.) den „Blick in die Sterne“ trainieren. Wer sich tiefergehend damit beschäftigt, der wird mit der Zeit die eine gewisse „Orientierung am Himmel“ haben. An dieser Stelle möchte ich auf den – für die nördliche Hemisphäre – bedeutendsten Stern hinweisen: Den Polarstern. Einfach gesagt: Er steht ziemlich genau über dem geografischen Nordpol. Und er ist verhältnismäßig einfach zu finden: Der „Große Wagen“ ist recht einfach zu erkennen. Er wird auch „Großer Bär“ genannt. Die beiden vorderen Sterne weisen genau auf den Polarstern. Ihren Abstand ca. 5 mal verlängern und Ihr landet recht genau beim Polarstern. Den Abstand könnt Ihr mit Fingerbreiten abmessen. Wichtig ist, dass Ihr den Abstand in die richtige Richtung verlängert: Stellt Euch vor, der Wagen steht auf dem Boden. Verlängert in Richtung Himmel, nicht in Richtung Erde.
Der Polarstern ist übrigens der erste Stern der Deichsel des kleinen Wagens.
Wie gesagt, es bedarf einiger Übung. Es gibt noch viele andere Sternbilder, die sind aber wesentlich komplizierter zu erkennen. Wenn Ihr den Polarstern findet, dann habt Ihr schon viel erreicht, denn er ist ein prima Anhaltspunkt zur Navigation.
Ihr könnt die – grobe – Himmelsrichtung auch am Mond ablesen. Dazu müsst Ihr etwas Hintergrundwissen haben und auch etwas rechnen.
Los geht´s. Zuerst müsst Ihr feststellen, ob es sich um zunehmenden oder abnehmenden Mond handelt. Ja, das mit dem altdeutschen A und Z ist ja o.k. . Wer´s noch kann….der kann´s verwenden. Einfacher finde ich die Alternative mit dem „größer als“ (>) oder „kleiner als“ (<).
> bedeutet „zunehmender Mond“
< bedeutet „abnehmender Mond“
Dann schätzt den sichtbaren Anteil des Mondes in zwölftel. Also: Ist nur eine schwache kleine Sichel zu erkennen, so habe ich 1/12. Ist die Hälfte zu sehen, so habe ich 6/12, und wenn wir z.B. Vollmond haben, dann kann ich 12/12 sehen.
Jetzt schaue ich auf meine Uhr.
Zu der abgelesenen Uhrzeit addiere ich oder subtrahiere ich die Zahl, die beim Bruch über der 12 steht.
Habe ich zunehmenden Mond (>) subtrahiere ich.
Habe ich abnehmenden Mond (<) addiere ich.
Das ergibt eine neue Uhrzeit.
Und die Himmelsrichtung, in der die Sonne zu der neu ermittelten Uhrzeit stehen würde, da genau steht der Mond jetzt.
Zur Verdeutlichung ein Beispiel:
Es ist nachts, 03.00 Uhr.
Ihr seht den Mond etwa zur Hälfte. Folglich habt Ihr den Bruch 6/12. Die Sichel ist auf der – von Euch aus betrachtet – linken Seite offen. Also habt Ihr ein > („größer als“) und zunehmenden Mond. Folglich müsst Ihr von der jetzigen Uhrzeit 6 Stunden abziehen: 03.00 Uhr minus 6 Stunden = 21.00 Uhr. Die Sonne steht um 21.00 Uhr im Nordwesten. Also seht Ihr den Mond im Moment im Nordwesten! Diese Richtungsbestimmung ist nicht sonderlich genau. Wenn ich aber nachts marschieren muss und ich nur eine grobe Marschrichtung benötige, so kann ich mich auch daran orientieren, wenn ich z.B. den Polarstern aufgrund von Bäumen o.ä. nicht ausmachen kann.
Eine weitere Möglichkeit ist der Behelfskompass – Marke Eigenbau. Vielleicht habt Ihr in Eurem Überlebensgürtel eine Nähnadel. Daraus könnt Ihr einen Kompass bauen. Sucht Euch eine ruhige Pfütze oder etwas ähnliches.Es geht auch ein Plastikbecher, Glas, Kokosnußhälfte usw. Füllt den Behälter mit Wasser. Dann nehmt Ihr die Nadel und reibt die Spitze an Eurem Wollpullover, Euren Haaren o.ä. Dadurch wird die Nadel magnetisiert. Aus Euren Ohren holt Ihr etwas Ohrenschmalz und schmiert die Nadel damit ein. Dafür könnt Ihr auch Fett vom Braten, vom Schlachten, Knochenmark o.ä. nehmen. Jetzt bildet Ihr aus zwei Stücken Nähgarn zwei Schlaufen und hängt die Nadel hinein. Behutsam lasst Ihr die Nadel auf die Wasseroberfläche nieder und zieht die Schlaufen nach außen weg. Durch das Fett und die Oberflächenspannung des Wassers schwimmt die Nadel und pendelt sich in Nord-Südrichtung ein. Das kann einen Moment dauern. Anstatt des Nähgarns könnt Ihr auch Grashalme nehmen. Oder Ihr legt die Nadel auf ein kleines Stück Papier im Wasser. Wenn sich das Papier vollgesogen hat und absinkt, bleibt die Nadel oben und schwimmt. Aber Achtung: Alle metallischen Gegenstände, die magnetisch sein könnten, müssen weit weg liegen. Und keine Metallgefäße benutzen…Sicher geht Ihr, wenn Ihr den Vorgang einige Male wiederholt. Pendelt sich die Nadel immer in der gleichen Richtung ein, könnt Ihr davon ausgehen, dass Euer „Kompass“ stimmt.